Schlafen auf Tisch
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Die Hummel ist noch wach

Die Hummel ist noch wach. Mit einem viel zu lauten Geräusch fegt die Hummel über meinen Kopf hinweg, dabei dämmert es doch schon. Die müsste doch schon längst im Bett sein, die Hummel. Schließlich ist morgen ein wichtiger Hummel-Tag. Aber vielleicht ist ihr Tag der Hummel auch einfach egal, genauso egal, wie mir der nächste Tag ist, und der danach, und der danach.

Müsste ich nicht auch schon schlafen? Wann habe ich eigentlich das letzte Mal wirklich geschlafen? Den Schlaf geschlafen, nach dem man am nächsten Morgen aufwacht und sich denkt wie schön das war, das Schlafen. Wie schön, dass jetzt schon morgen ist. Wie schön, dass es genauso friedlich weiter geht, wie in der Nacht.

Nacht. Ich sehe Flugzeugabstürze und entgleiste Züge. Ich sehe dein Gesicht und dann kurz seins und dann wieder deins. Dein Mund wie er mir sagt, dass du jetzt gehst und ich schon so lange hätte gehen sollen und warum ich eigentlich noch hier bin. Du ertrinkst vor mir und wegen mir und ich kann nichts tun, um dich zu retten, nur dastehen und zugucken und mit der Schulter zucken. Wenn sich meine Augen wieder öffnen ist es schon viel zu spät. Viel zu spät, um einen neuen Tag zu begrüßen, viel zu spät, damit irgendwas gut werden könnte, deswegen bleibe ich lieber einfach hier liegen und versuche es morgen nochmal. Oder Übermorgen.

Wunderschön kann es sein, wenn der Tag so ist wie die Nacht. Dann kommt es darauf an, dass beides schön ist, der Tag und die Nacht. Ist beides schrecklich, kommt es darauf auch nicht mehr an, so kommt es eigentlich auf nichts mehr an und es ist mir auch egal.

Es wird besser. Das sagen sie dir. Sie sagen, dass alles bald vorbei ist. Doch wo ist der Wert, wenn das alle schon so lange sagen und ich die Höhen und die Tiefen in ihren Stimmen bei den immer gleichen Sätzen schon so vorhersagen kann, wie eine alte Werbemelodie von vor zehn Jahren, die nie meinen Kopf verlassen hat. Warum verlässt eigentlich nichts mein Kopf?

Ich bin so müde und kann nicht schlafen. Ich muss so viel machen und will einfach nur regungslos sitzen bleiben und auf den großen Schrank starren, der vor mir steht und langsam kippt. Immer näher kommt er auf mich zu, in Zeitlupe, ich muss einfach nur aufstehen und den Schrank am Fallen hindern, aber das ist so anstrengend und anstrengende Sachen langweilen mich.

Und da steht so viel drin in diesem Schrank. So viel Zeug. Belangloses und Wichtiges. Dinge, die so wichtig sind, dass sich keiner traut sie zu sagen, vielmehr werden sie nur ganz leise gelesen, heimlich, mit der Taschenlampe unter der Decke. Und das Belanglose ist so laut, immer steht es im Mittelpunkt und schreit und tanzt und zeigt mit dem Finger auf sich. Enzyklopädien von Jahren und Jahrzehnten. So eingestaubt, dass kaum der Einband zu erkennen ist, aber wenn ich mit den Fingern darüber gleite, schneide ich mich an den Seiten und Blut tropft kurz auf den Boden, aber das wische ich schnell weg, ist doch kein Problem. Das wird bald wieder gut.

Und dann trifft mich der Schrank so hart auf den Kopf, dass alles verschwimmt. Damals und heute und morgen. Vor meinen Augen verschwimmt alles zu einer dickflüssigen Masse, die mich einhüllt und die Bewegungen erst noch erlaubt, doch dann schwindet die Kraft und alles ist bewegungslos und still.

Ich höre das Brummen von der Hummel nicht mehr. Sie ist schlafen gegangen. Sie war müde. Eigentlich können Hummeln auch gar nicht fliegen. Deshalb ist das Leben von Hummeln so anstrengend.

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