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Von Misstrauen und Bauchgefühlen

Mit wird häufig gesagt, dass ich zu misstrauisch sei. Dass ich einfach mal genießen soll. Dass ich meine Urteile nur auf Basis meiner schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit treffe. Doch was soll ich sagen? Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mit meinem Misstrauen richtig lag. Wie viel öfter ich diesem allzu starken Gefühl hätte nachgeben und Konsequenzen hätte ziehen muss.

Das Misstrauen ist der Untermieter von meinem Bauchgefühl. Die beiden kommen ganz gut miteinander klar, denn häufig stehen ihre Meinungen in einem harmonischen Einklang. Meine persönliche Beziehung zu meinem Bauchgefühl gestaltet sich jedoch eher als Hassliebe. Ich höre, was es sagt. Ich halte mir aber viel zu oft die Ohren zu, weil mir seine Meinung schlichtweg nicht gefällt.

Als ich zum Beispiel in dein Auto stieg, sagte mir mein Bauchgefühl innerhalb der ersten drei Sekunden: „Alles klar, reicht. Verabschiede dich JETZT.“ Doch ich habe ihm einfach den Mund zu gehalten und es in die Tiefen meiner Jackentasche gestopft.

Bereits nach zehn Minuten wusstest du, dass ich die Frau deines Lebens sein könnte. Machtest Pläne, wo uns die nächsten Wochen hintragen sollten. Erzähltest sämtliche Details aus deinem Leben – auch die unschönen, die bei Dates ansonsten nur allzu gerne unter den Teppich gekehrt werden. Auf eine seltsame Art und Weise hat mich das fasziniert. Doch noch mehr hat es mich überfordert, weshalb ich noch einmal in eine engere Diskussion mit meinem Bauchgefühl treten wollte. Als du am nächsten Tag für mich Kochen wolltest, entschlossen wir uns – mein Misstrauen, mein Bauchgefühl und ich – uns die Sache noch einmal genauer anzuschauen.

An diesem Tag, in dieser Nacht und an diesem Morgen konntest du uns nahezu alle überzeugen. In der Decke unter dem Sternenhimmel haben deine gesäuselten Versprechungen uns alle um den Finger gewickelt – außer natürlich das Misstrauen, das mit verschränkten Armen in der Ecke stand, eine Augenbraue hochgezogen und bedeutsam seinen Kopf geschüttelt hat.

Mein Name klang aus deinem Mund wie Musik, schöner als die Balladen, die du mir vorspieltest. Plötzlich gehörtest du hierhin, dein Name auf mein Display, dein Körper in mein Bett – als wäre es nie anders gewesen. So anders, so offen, so bereit, die ganz große Magie zu erleben. Bis du meinen Namen zwei Wochen später ausspucken und niemals mehr in den Mund nehmen wolltest. Das Kaugummi hat seinen Geschmack verloren.

Jetzt sitzen wir drei auf der Couch. Ich relativ unbeeindruckt, mein Bauchgefühl versucht es mit Humor zu nehmen und mein Misstrauen hebt den Zeigefinger. „Ich hab’s dir doch gesagt.“ Ja. Natürlich. Da ist sie, die Bestätigung, dass die negativen Vorahnungen sich bewahrheitet haben. Keinesfalls zum ersten Mal.

Doch was ist die Konsequenz daraus? Ich denke, die Konsequenz daraus sollte sein, dem Bauchgefühl noch mehr Raum zu geben und das Misstrauen liebevoll zu umarmen. Ihre Warnungen nicht nur wahrzunehmen, sondern vielmehr als akute Handlungsempfehlung zu sehen. Natürlich kämpft das Misstrauen tendenziell eher mit einem schlechten Ruf – aber das tun viele Menschen, die unangenehme Wahrheiten aussprechen.

Die heutige Datingwelt ist aus den Fugen geraten, besonders in dem Zeitraum der letzten drei Jahre. Misstrauen und das Bauchgefühl stellen im Zuge dieser beunruhigenden Entwicklungen nicht nur lästigen Ballast dar, sondern vielmehr eine wertvolle Uniform.

Dies mag sich für manche Menschen, und wohl vor einigen Monaten auch noch für mein eigenes Ich, schlichtweg falsch anhören, doch die Praxis zeigt, dass es sehr wohl nötig ist. Nicht nur ich, sondern ebenfalls in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, reiht sich eine unglaubliche Geschichte an die nächste. Wir denken in Ausnahmen, merken aber gar nicht, wie sich diese Ausnahmen und Extremfälle still und heimlich zur Regel formen.

Zur Vollständigkeit muss nun noch einmal der Klischeebegriff Generation Beziehungsunfähig fallen. Jedoch trifft dieser gar nicht den Kern des Problems. Der Kern des Problems ist die Generation Optimierung. Es gibt kaum noch Menschen, die sich die Zeit nehmen möchten, einen neuen Menschen wirklich kennenzulernen, um auf Basis dieser Erkenntnisse dann zu entscheiden, ob sie sich vorstellen könnten, zumindest einen Teil ihres Lebens mit ihm zu verbringen. Die Angst, etwas noch Besseres zu verpassen, ist allgegenwärtig und verursacht massive Probleme, die erst langsam und mit der Zeit an die Oberfläche der Gesellschaft dringen.

Die Auswahl an potentiellen Partnern ist so groß, wie noch nie und wird durch die entsprechenden Apps auf einem, im Licht der Filter und gut durchdachten Selbstbeschreibungen verlockend angerichtetem, Silbertablett serviert. Man muss einfach nur zugreifen – schmeckt es nicht, wird es wieder ausgespuckt und der Mund schnell mit ein wenig Wasser nachgespült. Ein wesentlich stilvolleres, unauffälligeres in die Serviette spucken ist gar nicht mehr nötig – keine Erklärungen, keine Gesten des Anstandes, keine moralischen Bedenken. Dies alles wäre die reine Zeitverschwendung, während vielleicht schon das nächste Tablett verpasst werden könnte.

Lange Zeit war ich davon überzeugt, dass Misstrauen und undefinierbare Bauchgefühle, die mit Warnschildern wild umher fuchteln, an Gefühlen und Anziehung doch nichts ändern können. Dass es immer Mut erfordert, einen neuen Menschen in das eigene kleine Leben zu lassen. Dass es nur unbegründete Ängste sind, die uns daran hindern, zu genießen und sich die Zukunft optimistisch in bunten Farben zu malen.

Du hast mir jedoch gezeigt, dass ich mich auf meine treuen Begleiter so viel mehr verlassen kann, als auf dich und deine Worte. Dass sie nie ihre Brille vergessen und auch der Wein ihre Sicht nicht vernebelt. In dieser Masse von Menschen, denen Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und sonstige Moral nichts mehr zu bedeuten scheint, sind sie die großen und breiten Türsteher, die wir vor dem Eingang unseres Herzens positionieren müssen.

Schließlich bedeutet dies noch lange nicht, dass niemand mehr Einlass erhält, sondern vielmehr ausschließlich diejenigen, die über lange Zeit durch ihre Taten geglänzt und so bewiesen haben, dass sie es wert sind, auf der Tanzfläche alle Blicke auf sich zu ziehen.

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