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Abschied, du Arschloch.

Nomen:Abschied. Verb: verabschieden oder Abschied nehmen. Man nimmt Abschied. Eine aktive Tätigkeit.

Es liegt in der Natur der Sache, dass wir Abschiede eher negativ konnotieren. Abschiede klingen nach Schmerz, nach Tränen, nach Ende. Abschiede sind schwer. Ein kommender Abschied wird oft gefürchtet, man weiss, dass die Situation schwierig wird, dass sie uns wehtun wird.

Doch warum tun wir uns das dann überhaupt an? Wieso sind Abschiede in unser Kultur und Gesellschaft überhaupt so verankert?

Kürzlich habe ich über Abschiede nachgedacht. Es gibt Menschen, die können mit Abschieden ganz gut umgehen. Abschied hat immer auch die Veränderung an seiner Seite, sie sind wie siamesische Zwillinge kaum voneinander zu trennen. Ich bin ein Mensch, ich kann weder mit dem einen noch mit dem anderen der kleinen Blagen umgehen. Zumindest nicht in der Theorie. Denn noch etwas haben Abschiede so an sich, in der Praxis unseres Lebens können wir sie kaum vermeiden auch, wenn wir es noch so sehr möchten.

Ich hasse Abschiede, ich kann damit nicht gut umgehen. Egal, in welchem Lebensbereich sie vorkommen. Ich kann mich nicht von alten, löchrigen Kleidungsstücken verabschieden. Ich kann mich nicht von Situationen und Gegebenheiten verabschieden, an die ich so gewöhnt bin, auch, wenn sie mich vielleicht unglücklich machen. Und ganz besonders kann ich mich nicht von Menschen verabschieden. Das Verabschieden von Menschen, die einen gewissen Weg in meinem Leben mit mir gemeinsam bestritten haben, bringt mein Herz an seine Grenzen. Dabei ist es gar nicht so wichtig, wie lang die Menschen mit mir gegangen sind. Wenn diese Menschen in der Lage waren, mein Herz zu berühren, und wenn es nur mit einem Blick, einer Geste oder einem Satz war, dann sehe ich in einer Verabschiedung keinen Sinn. Zumindest keinen positiven, ich sehe darin nur Schmerz, ob klein oder groß.

Die schwierigsten Abschiede sind die, die nie ausgesprochen oder erklärt wurden. Die, bei denen der Sinn ganz tief vergraben ist. Die, die unverhofft kommen, die, mit denen man sich noch nicht mal gewagt hat, in seinen Gedanken zu beschäftigen, da der bloße Gedanke daran, die kürzlich zu sich genommene Nahrung (wahrscheinlich Pommes) in Richtung Speiseröhre schickt. Ich, meines Zeichens die absolute Abschieds-Niete, kann diese ungesagten, unausgesprochenen und nicht zelebrierten (Einen Abschied zelebrieren – feiern – welch’ ein Paradoxon) nicht ertragen. Es ist bereits schon vorher in Stein gemeißelt, dass dieser Abschied für immer an meinem Herzen zieht und zerrt und es von Zeit zu Zeit zu mir flüstert:”Weißt du noch? Wo ist dieser Mensch? Hallo? Du musst mir sagen, wo der hin ist, sein Platz hier in mir ist schon so lange leer.”

Denken wir einmal an eine Beerdigung. Ist es nicht verrückt, dass wir für einen Menschen, der nicht mehr lebt und der überhaupt nichts mehr mitbekommt und gerade hoffentlich im Himmel mit Michael Jackson und Amy Winehouse Maccarena tanzt, so ein riesen Tam Tam veranstalten? Warum gehen wir nicht einfach hin und sagen, dass dieser Mensch jetzt halt nicht mehr da ist, wir denken uns “Tschö!” und machen weiter mit unserem Leben? Ganz einfach, weil wir die zeremonielle Abschiedsgeste brauchen. Wir Menschen brauchen einen offiziellen Schlusspunkt. Um zu verstehen, um zu akzeptieren, um zu verarbeiten. Damit auch das Herz mitbekommt, was hier gerade passiert ist, wo der alte Untermieter auf einmal hin ist. Wenn der alte Untermieter des Herzens einfach nur kurz mal raus geht, um Zigaretten zu holen und dann einfach nie wieder zurück kehrt, versteht es das nicht. Auch nicht mit viel, viel Zeit. Wir können uns alle keine Amnesie herbeizaubern, und egal, wie viele schlauen Sprüche es a la “Zeit heilt alle Wunden” gibt, wir brauchen einen Abschluss.

Ich muss mich entschuldigen, wenn ich mir hier anmaße, mit “wir Menschen” plakativ für alle zu sprechen. Es gibt Menschen, die sind da anders, keine Frage. Die können auch mit unausgesprochenen Abschieden, ohne eine Erklärung, ohne Antwort auf die Fragen, die einen innerlich zerreißen, weiterleben. Die vertrauen auf die Zeit und nicht auf die Zeremonie. Unstrittig ist es meiner Meinung nach hier aber, dass hier der Verdrängungsmechanismus sein übriges dazu tut. Noch eine Sache, mit der ich nicht klarkomme. Ich kenne den psychologischen Hintergrund des Mechanismus der Verdrängung, ich weiß, dass er uns an manchen Tagen und manchen Situation den Arsch rettet. Aber, verzeiht mir das zu sagen, das ist nicht nachhaltig. Das kann funktionieren, auch jahrelang. Und irgendwann, irgendwann steht unser Herz vor unserem Verstand und fragt, ob er eigentlich noch alle Tassen im Schrank hat und dass das verwaiste Zimmer des ehemaligen Untermieters langsam ein Schimmelproblem kriegt.

Wenn ich schon Abschiede in meinem Leben nicht vermeiden kann, dann möchte ich die Chance bekommen, mit ihnen klar zu kommen. Ich brauche einen Anfang und ein Endpunkt. Ich brauche eine große Party aus Trauer, und Wut und aus Tränen, Erklärungen, Nostalgie und einer langen Umarmung. Ich möchte dem Abschied in die Augen sehen und sagen “Tschö”. Erst dann kann ich das Zimmer im Herzen wieder inserieren. Und hoffen, dass der nächste Untermieter nicht ganz so chaotisch ist und nicht so arglos mit dem Inventar umgeht. Vielleicht kann ich auch einen kleinen Zaun um den Garten bauen, damit nicht jeder Hinz und Kunz hereinkommt. Aber erst einmal muss der vorherige Mietvertrag ordnungsgemäß gekündigt werden und eine saubere Schlüsselübergabe erfolgen. Ihr versteht.

Abschiede. Abschiede geben uns die Möglichkeit, Abschied zu nehmen aktiv. Abschiede tun weh. Abschiede sind Veränderungen. Abschiede sind Verlust. Aber Abschiede sind auch Anfänge. Und vor allem geben Abschiede die Chance, auf ein Wiedersehen.

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