Two people fading
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Sound of Silence

Ich erinnere mich noch genau an diesen Sonntagabend. Ein Sonntagabend wie die meisten Sonntagabende – Couch, Langweile, das Handy in der Hand. Als Instagram mich informiert, dass mir jemand eine Nachricht schreiben möchte, entlockt es mir noch nicht mal mehr ein müdes Zucken, schließlich zählen die Nachrichten, die Fremde auf dieser Plattform Schreiben grundsätzlich eher zu den Abgründen des Internets.

Ich klicke auf die Nachricht und es dauert nur ein paar Sekunden bis ich Grinsen muss. Nicht direkt wegen dem Inhalt deiner Nachricht, sondern weil ich mich frage, wie irgendein dahergelaufener Typ darauf kommt, mir einen detaillierten Bericht seiner Sonntagsaktivitäten zu schicken – who cares? Nach der Beschreibung deines Tagesablaufes fügst du noch ganz nebenbei an, dass du mich auf Tinder gesehen hast, dort aber nicht gerne schreibst – Aha? Natürlich? Vielleicht ist das Problem auch einfach, dass wir gar kein Match auf Tinder haben und du mir dort deswegen überhaupt nicht schreiben kannst? Auch dies bringt mich zum Schmunzeln. Soviel Selbstbewusstsein in nur einer Nachricht, da du a) denkst, dass mich deine Sonntagsgestaltung interessieren würde und b), dass du wie selbstverständlich davon ausgehst, dass ich dich ohnehin noch matchen würde. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass mir tatsächlich sofort dein Gesicht entgegenspringt, als ich Tinder öffne – gematcht habe ich dich nicht. Einfach so.

Irgendwas musst du tatsächlich haben, dass ich mich auf eine Antwort einlasse. Das passiert bei derartigen Kontaktaufnahmeversuchen auf Instagram nie. Mich interessieren diese Nachrichten einfach null. Doch irgendetwas war da. Und dann? Dann wirfst du plötzlich mit Aussagen um dich, welche Wörter wie „kein Durchschnitt“, „im Leben geht es um Momente“ und weitere, noch philosophischer anmutende Gedanken enthalten. Okay, für diesen Abend hast du mich. Wir tauschen Nachrichten im Minutentakt aus. Ich ahne noch nicht, dass dies bei Weitem nicht der letzte Abend sein wird, an dem du mich mit deinen Gedanken außergewöhnlich gut unterhältst. Natürlich muss ich zugeben, dass ich wohl nicht geantwortet hätte, wenn deine Bilder mir nicht gefallen hätten – du bist attraktiv. Nicht klassisch instagram-attraktiv, sondern klassisch klassisch-attraktiv. In deinem Blick ist etwas, das mich fesselt. Dennoch lehne ich erst einmal ab, als du mich fragst, ob sich die nächsten Tage die Chance auf ein Glas Wein ergeben könnte. Wir sind doch nur zwei Fremde, die zufällig in eine nette Unterhaltung gestolpert sind. Es ist wohl kaum überraschend, dass du meine Absage nicht ernst nimmst und dich bald wieder melden willst.

Am nächsten Morgen habe ich das Gespräch fast schon wieder vergessen. Umso verwunderter bin ich, als du dich tatsächlich wieder meldest. So geht es eine ganze Zeit weiter und anders als sonst, schrumpft mein Interesse nicht mit fortschreitender Kommunikation, vielmehr wächst es exponentiell. Du bist gut mit Worten. Dass mir das in naher Zukunft zum Verhängnis werden wird, ist noch nicht abzusehen. In mir wächst der Wunsch, dich wirklich zu treffen, auch, wenn ich den Dates vorerst abgeschworen habe und die Sprachbarriere zwischen uns mich erst einmal aus meiner Comfort Zone fordert. Ich bin hin und hergerissen. Und genau in dem Moment, in dem ich mich entschließe, die Sache auf sich beruhen zu lassen, schlägst du zu.

Es dauert nur eine Stunde, bis wir am Wasser sitzen. Mit Wein und mit Mondschein. Es geht wohl kaum kitschiger. Doch das ist es nicht, was mich nervös werden lässt. Es ist das, was in den ersten Sekunden, als ich dich unten vor der Tür getroffen habe, passiert ist. Da war er. Ich habe es nicht mehr für möglich gehalten, aber der Klick war so laut, dass seitdem auf meinen Ohren ein dumpfes Piepen herrscht. Ich genieße unser erstes Date, dennoch schleicht sich bereits von hinten langsam das Unvermeidbare an: Die Angst. Du gefällst mir so gut, ich weiß, dass es gefährlich wird. Nennt mich vorschnell, aber ich wusste es. Du bist groß, du hast wunderschöne Haare, deine Worte bringen mich zum Lachen und zum Nachdenken.

Als ich am nächsten Tag aufwache, bin ich wie paralysiert. Was ist da gestern bitte geschehen? Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es kein Traum war. Du bestätigst meinen Eindruck, indem du mir mitteilst, dass dich der Abend ziemlich verwirrt hat. Ja, mich auch. Vielleicht war dies der Zeitpunkt, an dem wir beide eine leise Ahnung davon gekriegt haben, dass wir ab jetzt mit Feuer spielen.

Eine Woche später könnten wir mit der Nummer bereits im Zirkus auftreten, denn auch unser zweites Treffen macht die Sache nicht einfacher. Die Anziehung, die ich zu dir spüre, besteht auf so vielen Ebenen, dass meine Hände kaum ausreichen, um sie aufzuzählen. Als du mir einen Gin Tonic vor die Nase stellst, denn ich in noch keiner Bar in annähender Perfektion serviert bekommen habe, wird mir langsam bewusst, was bald passieren wird. Denn in meinem Kopf breitet sich die Frage aus, wie viele Mädchen du einen solchen bereits auf deiner Couch überreicht hast und sie damit noch mehr von dir begeistert hast. Ähnliche Fragen werden lauter in meinem Kopf, doch ich entscheide mich für den Mute-Knopf. Deine Worte sind einfach viel zu schön, als dass ich sie nicht wenigsten für den Moment glauben möchte. Ich versichere mir selbst, dass ich ab morgen wieder in die Distanz abtauchen werden. Mir wird es zu heiß, aber an diesem einen Abend halte ich der Hitze noch stand.

Ich habe nicht damit gerechnet, dass du den Kontakt bereits am nächsten Abend erneut suchen wirst. Einfach um mir mitzuteilen, dass du deine Gedanken noch immer nicht von dem gestrigen Abend losreißen kannst. Ich spüre das Feuer in mir aufkommen und merke, dass es immer schwerer wird mich der Hitze, die mein Herz langsam auftaut, entziehen kannst. Doch erstmal werde ich es noch in den Kühlschrank stellen. Zu schwer wiegen die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Vergangenheit – diesmal wird es anders sein. Die Kühlschranktür bleibt fest verschlossen, sodass noch nicht einmal das Summen aus ihr hervordringen kann.

Als ich am darauffolgenden Abend wieder grinsend vor meinem Handy sitze, wird mir klar, dass ich langsam ein Problem bekomme. Du beginnst dich langsam, aber sicher auszubreiten. In meinem Tag und in meinen Gedanken. Doch du bist nicht alleine. Mit dir kommen alle Geister der Vergangenheit zurück. Ich vergleiche dein Verhalten mit denen, die ich in meiner Vergangenheit kennengelernt habe. Die alten Narben fangen leise an wieder zu pochen.

Der Schmerz entwickelt sich von dem leichten Pochen in einen scharfen Stich, als ich vor dem Getränkeregal stehe und deine Nachricht lese. Bad News. In der Tat. Deine Begründung, weshalb unser geplanter Abend heute nicht stattfinden kann – ich überlege keine Sekunde ihr Glauben zu schenken. Vielmehr schenke ich den unaufhörlich schreienden Stimmen in meinem Kopf glauben, dass du keine Lust mehr hast. Dass du mich anlügst. Dass du mich nie mochtest. Willkommen zurück, liebe Verlustsangst. Mein Tag ist gelaufen. Und die Ungewissheit, wann wir uns wiedersehen, beginnt mit engelsgleicher Geduld, die Steine in der Mauer, die du schon so gelockert hast, wieder fester in das Gefüge zu drücken.

Plötzlich sitzt du wieder auf meiner Couch. Und irgendwas ist heute anders. Als ich unsere Drinks mache, folgst du mir in die Küche, ziehst mich zu dir, und küsst mich. Für ein paar Sekunden bin ich völlig aus dem Konzept. Du bringst mich aus dem Konzept. Aus dem Konzept, dass ich mir in den letzten paar Wochen schnell aus den Fingern saugen musste, weil ich nicht mit dir gerechnet habe. Nicht auf die Art. Hätte ich dies vor unserem ersten spontanen Treffen gewusst, wahrscheinlich hätte ich es nicht getan. Ich hätte mich an diesem Abend nicht mit dir auf die Mauer gesetzt. Ich hätte mich nicht auf deine Couch gesetzt und mich nicht mit dir in mein Bett gelegt.

Denn als du da liegst, sagst du die Worte, nach denen mein ausgehungertes Herz giert. Du sagst Dinge, die ich mit einem lächelnden Kopfschütteln abweise, sich allerdings hart und erbarmungslos in meinem Kopf einbrennen. Du redest davon, dass wir uns so schnell es geht wiedersehen müssen, am besten sowieso immer, dass ich dich fasziniere.

Eine kurzlebige Faszination. Die Bedenken werden spätestens zwei Tage später so laut, dass ich sie nicht mehr ignorieren kann. Du meldest dich zwar, aber again – bad news. Ich halte allen Bedenken und Alarmsignalen den Mund zu. Nicht nach Sonntag. Zwar mag mich meine Menschenkenntnis in der letzten Zeit das ein oder andere Mal mehr als bitter enttäuscht haben, aber nein – du warst echt. Deine Worte waren zwar nur Worte aber deine Blicke – die wissen nichts vom Lügen.

Du fehlst mir. Ich bilde mir das Vibrieren meines Smartphones ein, um bei einem Blick darauf festzustellen, dass nichts ist. Dass du verschwunden bist. Von meinem Smartphone. Doch leider nicht aus meinem Kopf. Ich habe meine Hände so fest in die Hoffnung gebohrt, dass es bald wieder vibriert und ein Blick darauf dein wunderschönes Profilbild offenbart. Du fehlst mir. Unsere Gespräche fehlen mir. Die ehrliche Aufmerksamkeit, die du mir geschenkt hast – ich bin wie auf Entzug. Kann gar nicht fassen, was die letzten vier Wochen passiert ist. Es war nur ein Wimpernschlag – und manchmal frage ich mich, ob du wirklich da warst.

Beim besten Willen kann ich diesmal keinen Fehler in meinem Verhalten dir gegenüber ausmachen. All‘ die großen Wahrheiten über die Fehler, die Frauen in der Kennenlernphase machen – Fehlanzeige. Keinen Druck, keinen Stress, kein Zuviel. Dass dein Jagdtrieb durch mein Verhalten erstickt wurde? Wie denn? Nein, das kann es nicht sein. Ziehst du dich gerade tatsächlich von mir zurück, nicht weil du mich angelogen hast, sondern weil du mir die Wahrheit gesagt hast? Bin ich wirklich zu deinem Problem geworden? Ist es wirklich zu gefährlich geworden? Bist du soviel selbstkontrollierter als ich, dass dich die Angst vor zu viel Nähe wirklich fernhält?

Du hast mich gefragt, wer ich bin. Ich bin ein Mädchen, das du vom ersten Augenblick an mit deinem kompletten Dasein geflasht hast. Ein Mädchen, für das du der Klick warst. Bitte komm zurück und vibrier und klick. Ich verspreche dir, ich zeige dir wer ich bin, auch, wenn es mich meine ganze Kraft kostet. Ich werde die Vergangenheit vergessen und dich nur für dich sehen. Ich werde dich nicht vergleichen und deinen Worten Glauben schenken. Ich werde dir vertrauen – You can trust me. I will. Denn wem, wenn nicht dir.

Und dann. Dann nichts. Kein Happy End. Nicht nur das Was macht es mir schwer, sondern vielmehr noch das Wie. Dass du stumm geblieben bist. Dich wortlos aus meinem Leben, in dessen Tür du nur für ein paar Sekunden deinen Fuß gesetzt hast, geschlichen hast. Noch immer hofft etwas in mir, dass du die Tür nur angelehnt hast. Deine Taten schleudern mir aber von überall her ins Gesicht, dass du sie zugezogen hast. Sie ist ins Schloss gefallen. Und nun läge es an mir, sie abzuschließen. Aber das ist nicht das erste Mal, dass ich meine Schlüssel verlege.

Qualität über Quantität. Das trifft auf unsere Geschichte zu. Selten hat es jemand in so kurzer Zeit geschafft, mich süchtig zu machen. Das Gefühl, das du mir gegeben hast. Erinnert sich mein Körper nun daran, ist es noch immer, als würde sich ein Messer in meinen Bauch bohren. Mir bleibt die Luft weg. Es hat mich erschüttert. Ich will mehr davon, doch du hast die Quelle versiegen lassen. Und nun sitze ich hier wie ein Junkie, für den es noch nicht mal mehr Methadon gibt.

Ich kenne deine Gründe nicht. Alle möglichen Antwortalternativen stecken in meinem Kopf und poppen nach Zufallsprinzip auf. Sie stehen auf Shuffle. Meine Gefühle stehen auch auf Shuffle, ich will dich verstehen, will dich hassen, will dich egal finden. Das einzige Gefühl, das die Playlist übersteht ist allerdings, dass ich dich will.

Why stop something when you enjoy it? Das war deine Frage. Sag es mir. Sag du es mir.

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