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Das Märchen vom guten Leben

Wir sind unglücklich. Manche öfter, manche seltener. Doch irgendwann jeder einmal. Und woher kommt das, das Unglücklich sein? Aus den blöden Umständen, denen das Leben uns aussetzt. Oder doch bloß aus uns selbst?

In unserem Kopf haben wir einen Plan, wie alles zu sein hat. Von jedem Bereich unseres Lebens haben wir eine genaue Vorstellung, die Innenwände unseres Gehirns sind mit Skizzen tapeziert. Wir tragen imaginäre Check Listen mit uns herum und lechzen danach, das nächste Häkchen zu setzen. Wenn alles so läuft, wie wir das möchten, dann sind wir froh. Das ist nur meistens nie von allzu langer Dauer.

Warum? Weil das Leben nun einmal nicht so ist. Das Leben besteht nicht nur aus tollen Momenten, mit denen wir unsere Instagram-Story füllen können. Zum Leben gehören Verluste, Krankheiten, Scheitern, Schmerz, Einsamkeit genauso dazu, wie Glück, Liebe, Freude, Spaß, Erfolge und Lachen. Aber posten wir das? Nein. Diese Dinge präsentieren wir bei Weitem nicht so gerne, wie unsere Acai-Buddha-Bowl. Weil wir denken, dass etwas falsch an diesen Momenten ist. Dass sie nicht zu einem erstrebenswerten Dasein passen. Weil uns dafür keiner ein neidisches Like da lässt.

Manchmal, da kann das Leben atemberaubend schön sein. Oft ist es das aber eben einfach nicht. Und was machen wir daraus? Ein Drama.

Wenn etwas in unserem Leben nicht so ist, wie wir es gerne gerade hätten, dann labeln wir das als Problem. Und zack, dann haben wir auch eins. Das schicken wir dann immer wieder auf eine neue spaßige Fahrt im Gedankenkarussell, bis dem Problem so richtig schlecht ist und uns auch. Aber warum?

Es kommt daher, dass uns einmal das Märchen erzählt wurde, dass „Gut“ der Normalzustand des Lebens ist. Eigentlich muss immer alles gut sein. Wenn etwas nicht gut ist, dann ist man in Schwierigkeiten und hat das gefälligst auch jeden Tag mehrere Stunden lang anzuerkennen. Doch, wer hat das entschieden, dass GUT der Normalzustand ist und Dinge, die einfach scheiße laufen, Ausnahmen sind, die es gilt, entweder möglichst schnell wieder in den GUT Zustand umzukehren oder sich sonst mit dem Leben in tiefer Depression abzufinden?

Das Leben ist genauso ambivalent, wie wir Menschen es sind. Jeder von uns trägt gute und schlechte Eigenschaften in sich und ganz genauso besteht das Leben aus guten und schlechten Momenten. Und die prozentuale Verteilung dieser Momente variiert einfach von Zeit zu Zeit. Die Ambivalenz ist der Normalzustand, nicht der, in dem alles perfekt läuft.

Menschen suchen immer einen Sinn, einen logischen Zusammenhang, sind ständig dabei, alles gerade zu bügeln, damit nirgendwo auf der Tischdecke, die über ihrem Leben liegt, ein ungewolltes Knittern entsteht. Da dürfen einfach keine Unregelmäßigkeiten sein, denn dann läuft was schief. Und dann ist es auf jeden Fall Zeit, ein noch stärkeres Bügeleisen zu kaufen.

Versteht mich nicht falsch, Glück und Zufriedenheit sind tolle Zustände. Aber dadurch, dass wir sie zur Norm erklären, setzen wir uns selbst so schrecklich unter Druck. Selbst, wenn wir eine Zeit der Zufriedenheit oder einen Moment des Glücks erleben, zuckt unser Fuß bereits nervös und wir halten Ausschau nach der nächsten Baustelle, die sich in unserem Leben anbahnen könnte. Finden wir uns aktuell in einer Phase wieder, in der die Probleme sich jeden Tag noch höher auftürmen, als der Stapel der ungewaschenen Wäsche in der Ecke unseres Zimmers, verlieren wir viel zu oft den Blick dafür, dass das Leben ist. Dass die Momente vollkommen okay sind und genauso wie die schönen Zeiten einfach dazugehören.

Wenn wir uns freimachen von den Gedanken, dass genau unser Leben gerade so unglaublich schwierig und problematisch ist und damit irgendwie falsch ist, können wir die Momente irgendwann als genau das betrachten, was sie sind: Normalität. Leben. Mensch sein.

2 Kommentare

  • Red Skies Over Paradise

    » … Die Gegensätzlichkeit der Gefühle bürgt dafür, dass die Spannung im Energiefeld erhalten bleibt. Die Energie muss fließen können, um zu beleben, und sie fließt am besten zwischen gegensätzlichen Polen wie Vertrauensseligkeit und Ängstlichkeit, Begeisterung und Erschöpfung, Wohligkeit und Unwohlsein, Sehnsucht und Enttäuschung, Liebe und Hass, Selbstsicherheit und Verzweiflung, Heimeligkeit und Fremdheit, Leidenschaft und Gleichgültigkeit, Frivolität und Schamhaftigkeit – um nur einige zu nennen, die jede und jeder kennt. Eine Balance dazwischen ist möglich, wenn die Ausschläge nach der einen und anderen Seite sich halbwegs die Waage halten. … «
    – Wilhelm Schmid, Selbstfreundschaft

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