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Von der Zeit.

Alles hat seine Zeit. Doch wir wissen gar nicht, was alles ist und wir wissen auch nicht was Zeit eigentlich ist. Wo ist der Anfang und wo ist das Ende. Ist Zeit die Erinnerung, oder ist Zeit die Zukunft und wo ist sie eigentlich geblieben.

Es ist schon wieder August. Das Jahr ist schon über sieben Monate alt. Wo ist das Jahr hin, das wir vor circa acht Monaten so freudig und so hysterisch begrüßt haben? Wo ist das neue Glück im neuen Jahr geblieben und was ist eigentlich mit dem August im Jahr davor und dem Juni im Jahr davor passiert?

Wir verbringen Zeit. Wir schlagen Zeit tot. Wir haben Zeit. Wir haben keine Zeit. Wir vergessen die Zeit. Immer machen wir etwas mit der Zeit, aber was macht die Zeit eigentlich mit uns?

Augenblicke werden zu Sekunden, auf diese folgenden die Minuten, die sich auftürmen zu Wochen, zu Monaten und dann zu Jahren. Desto mehr Zeit wir haben, hier, auf der Erde, desto schneller scheint sie zu vergehen. Desto älter wir werden, desto öfter verspüren wir den Wunsch, die STOP Taste zu drücken, einen kleinen Moment zu verschnaufen, kurz rechts ranzufahren, im Regen unter der Brücke warten, bis der Schauer vorüber gezogen ist.

Doch irgendwer hat auf dem alten Kassettenrekorder den STOP Knopf rausgepult, es scheint, als ließe sich die Fast Forward Taste gar nicht mehr ausschalten. Tage, Wochen und Monate überschlagen sich, keine Zeit mehr, die Dinge, die passieren wirklich zu verstehen, zu hinterfragen, zu begreifen. Irgendwann ergeben wir uns einfach der Strömung, lassen uns mitreißen. Und dann stehen wir da, überlegen, welchen Weichspüler wir kaufen und fragen uns, was mit den Tagen geschehen ist, als die sechs Wochen der Sommerferien eine Zeitspanne dargestellt haben, die gleichbedeutend mit Ewigkeit war.

Selbstgeschmierte Brote von Mama vor dem Fernseher essen, Einschulung, Schule, zu dritt auf dem Mofa ohne Helm durch Maisfelder fahren, erste Küsse, erste Tränen, betrunken den letzten Bus nehmen, Abitur, Studium, Herzschmerz, Gesichter – bekannte und fremde -, Lachen, Ängste, der erste Job, die erste Wohnung – Wo ist das alles hin? Wo sind die letzten 29 Jahre geblieben? Was ist mit der Zeit passiert? Und was mit uns?

Die Zeit ist vergangen. Still und heimlich hat sie sich davon geschlichen, ohne dass wir es bemerkt haben. Sie hat den Hinterausgang genommen, um dann irgendwann wieder durch die Vordertür einzutreten und kräftig „Buh!“ zu rufen. Momente sind zu Erinnerungen und damit zur Vergangenheit geworden. Zu Dingen, die wir nicht mehr greifen können. Die wir nicht festhalten konnten, so sehr wir es uns auch gewünscht haben.

Raubt das Attribut der Vergangenheit den Dingen damit ihre Bedeutung? Ist die Vergangenheit immer nur der Prolog, für das, was noch kommt?

Ich habe viel zu oft das Gefühl, nicht mehr mitzukommen. Der Geschwindigkeit, mit der die Zeit vergeht, nicht mehr Herr zu werden. Keuchend hinterherzujagen, um wenigstens einigermaßen Schritt halten zu können. Bei dieser Anstrengung ist es aber nicht mehr möglich, die Dinge intensiv wahrzunehmen. Sie zu verstehen. Ihre Bedeutung zu greifen und sie wirklich zu erleben. Mein bisheriges Leben scheint zu oft eine Geschichte zu sein, die mir jemand erzählt. Die Rolle des Protagonisten darin ist mir allerdings fremd. Es ist eine Geschichte, die zwar vertraut erscheint, in die ich mich hineinfühlen kann, die ich aber nicht geschrieben zu haben scheine. Die Vergangenheit steht im Passiv.

Es gibt für alles eine Zeit. Die Schulzeit – vorbei. Die Unizeit – vorbei. Und welche Zeit, ist jetzt? Die Zeit des einfach „Erwachsen Seins?“. Jede Zeit scheint im Nachhinein betrachtet ihre ganz eigenen Keywords zu haben. Welche die relevanten, in der Zeit, die gerade ist, sind, ist für mich nicht klar identifizierbar. Und auch nicht, wie lang, die Zeit, die gerade ist, überhaupt ist. Ist sie morgen vorbei, in einem Jahr oder schon seit vorgestern vorbei?

Die Zeit rennt und wir versuchen sie zu konservieren und so lange zu halten, wie es geht. Wir schießen dafür Fotos, speichern sie in Ordnern, posten sie in unserer Timelime. Als könnten wir die Zeit damit an ihrem Vergehen hindern. Doch die Zeit ist so viel stärker als wir und auch sturer und auch das aggressivste Klicken mit der Maus auf die entsprechende Datei wird uns nicht dahin zurückbringen.

Dabei ist der Charakter der Zeit doch so sanftmütig. Sie schreitet kontinuierlich. Immer, egal, was passiert. Es liegt nur an uns, wie wir sie wahrnehmen. Unser Jahr hat immer noch genau so viele Sekunden, wie das Jahr, in dem wir zehn Jahre alt waren. Aber wir haben auf dem Weg hierher unser Gespür für die Zeit verloren. Für die Augenblicke. Wir haben ein Teil unser Begeisterungsfähigkeit für das Leben eingebüßt.

Wir sind passiver geworden, sodass die Zeit ein leichtes Spiel hat, uns mitzureißen in ihrem Strom, ohne, dass wir noch die Kraft aufbringen können, nach dem Baumstamm zu greifen, uns daran hoch zu ziehen und kurz zu verschnaufen. Zurückzublicken und zu begreifen und zu verstehen. Die letzten 24 Stunden, die letzten sieben Tage und die letzten vier Wochen. Vielleicht auch die letzten 29 Jahre.

Das Leben ist schneller geworden. Nicht die Zeit, sondern die Orte. Und die Menschen an den Orten. Die Gefühle und die Worte und die Handlungen, alles läuft im Fast Forward Modus ab. Es liegt an uns selbst hier so oft es geht auf Slow Motion zu schalten. Innezuhalten. Einzuatmen. Und zu begreifen, dass wir hier gar kein Zuschauer sind, der verstehen muss. Sondern nur der Superstar, der handeln muss.

Ein Kommentar

  • Sovely Matters

    Ich finde das Thema Zeit wirklich sehr spannend und freue mich immer, dazu andere Gedanken zu lesen. Wenn ich noch einmal in der Schule wäre, dann würde ich mir wohl das Fach Philosophie mit dem Thema “Zeit” wünschen. Es ist so komplex und irgendwie auch aufregend.

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