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Brave New World: #EGOLAND

#willkommeninegoland

Hallo Herr Nast. Ich habe Fragen. Ich habe mich mit Ihrem Buch zum Thema Generation Beziehungsunfähig und dem Hintergrund von Egoland beschäftigt. Und nun stehe ich hier. Nicht überrascht. Was soll ich sagen, Sie haben Recht! Ihr Blick auf die Generation Egoland ist echt, er zeigt die Realität. Und trotzdem, was fange ich nun damit an, dass es jemand schwarz auf weiß beschrieben hat, wie es ist? Wo ist die Lösung für dieses Dilemma?

Ich bin absoluter Teil der genannten Generation. Voll drin, voll im Thema. Ich habe vieles von dem, was Herr Nast beschreibt, schon selbst erlebt und werde Tag auf Tag, jedes Gin Tonic-reiche Wochenende erneut damit konfrontiert. Und weiß doch nicht so recht, etwas damit anzufangen. Was tut man, wenn man Teil einer Bewegung ist, einer Entwicklung, mit der man sich doch nicht so recht identifizieren kann? Die Werte und Verhaltensweisen an den Tag legt, die den eigenen Vorstellungen und Handlungsmustern so sehr widersprechen?

Erst einmal wird selbstverständlich versucht, mitzuspielen. Ich bin bei Tinder, bei Instagram, versuche, mein Leben so schön und frei darzustellen, wie es nun einmal geht. Ich verbringe die Wochenenden im angesagten Hot Spot der von mir gewählten Großstadt, stehe vor Bars und versuche, mit jedem Drink den Stress und die Sorgen (die man in dieser Generation ja eigentlich gar nicht hat, weil alle #blessed sind und #thegoodlife leben) zu vergessen. Auf der Suche, nach irgendetwas, was mein Herz berührt. Ein Abenteuer, dass mein Leben auf den Kopf stellt. Ein Zeichen, dass alles möglich ist. Das geht für eine kleine Zeitspanne auch ganz gut, meistens korreliert diese Zeitspanne aber mit der zu kurzen Wirkungsdauer der alkoholischen Kaltgetränke.

Sonntagsmittags ist dann meistens klar, dass die Suche eher ernüchternd war, die Sorgen trotz des spaßigen #wildnight-Instagramfotos noch da sind und ich eigentlich nur Menschen begegnet bin, die entweder genauso im Arsch sind, wie man selbst oder die ich einfach wahlweise todeslangweilig oder zum kotzen finden. Und dann, wo ist das Egoland, wenn der Kater und der generelle Sonntagsblues sich die Hand reichen? Wenn bei Tinder nur noch auf “x” gedrückt werden kann, weil das 34855 Bild des kosmopolitschen Globetrotters mit Sonnebrille das soeben bestellte Fast Food wieder hochkommen lässt? Dann ist Egoland nämlich geschlossen. Wir stehen dann vor den geschlossen Pforten und müssen uns überlegen, warum der Freizeitpark mit seinen endlosen Möglichkeiten, Schnellebigkeiten und Bespaßungen uns eigentlich gar nicht so glücklich macht, wie wir es gerne darstellen.

Also? Meine Frage ist, was tut jemand, der sich damit eigentlich überhaupt nicht identifizieren kann, dem die Entwicklungen und Einstellungen dieser Generation seinen Avocado-Toast wieder hochkommen lassen? Ich sehe ja selbst, man versucht mitzuspielen, so gut es geht, denn was hat man schon für eine Wahl? Egal, wie viel Weltverbesserer in einem steckt, aufhalten wird man die Entwicklung sicher nicht.

Höher, schneller, weiter – das ist Egoland. Die Einwohner von Egoland sind mit sich selbst beschäftigt. Haben alle Möglichkeiten dieser Welt und denken nicht im Traum daran, sich für eine dieser Möglichkeiten langfristig zu entscheiden. Der neue Kick wartet an jeder Ecke. Jeder Partner, jeder Job, jeder Wohnort hat positive und negative Aspekte, doch für die negativen ist in Egoland keinen Platz. Die Generation besteht aus kleinen Detektiven, die stets auf der Suche nach den Nachteilen sind, um dann ganz schnell weiterzuziehen, zu etwas oder zu jemanden, bei dem sie noch etwas länger nach den Nachteilen graben müssen und was sich noch ein bisschen geiler und abgefahrener anhört.

Bevor Egoland betreten werden darf, müssen am Eingang ein paar Dinge abgeben werden. Ganz vorne an: Gefühle. In Egoland sind Gefühle verboten, wer sich verliebt, verliert. Denn mit Gefühlen untrennbar verbunden ist Verletzlichkeit. Echtheit. Entscheidungen. In Egoland hängen überall ganz große Verbotsschilder, auf denen Gefühle mit einem großen, roten X versehen sind. Sie würden das Konzept von Egoland ins Wanken bringen. Tiefgreifende, innerlich erschütternde Gefühle passen hier einfach nicht rein, sie sind einfach nur Hindernisse, Probleme. Sie machen es schwierig, sie verlangen Entscheidungen und vor allem lassen sie sich nur bedingt von uns selbst beeinflussen. Das macht sie zum absoluten Angstgegner der Generation Beziehungsunfähig. Aber Gefühle sind menschlich, und wer nicht gerade unter einer psychischen Disposition leidet und dadurch körperlich nicht fähig ist, Gefühle zu empfinden, der hat sie. Da können sie noch so tief im Sumpf der Likes, der Tindermatches, Parties und Netflixserien vergraben werden, ihre Existenz wird damit nicht ausgelöscht. Es liegt in der Natur, zu fühlen. Und die Natur steht im Gegensatz zum künstlich geschaffenen Egoland. Da liegt der Kern der Unzufriedenheit, der Verzweifelung und der Unerfüllheit, die auch die geilste Wohnung, der geilste Job und der perfekteste Kurzzeitbettpartner nicht mit Inhalt füllen kann.

Ich weiß nicht – andere, viel schlauere Menschen als ich, inklusive Herr Nast, haben schon darüber geschrieben. Die endlosen Möglichkeiten der Generation sind doch nur auf den ersten Blick ein Segen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen für die künstlich erschaffenen Dinge, die es heute so einfach machen sollen, gar nicht gemacht ist. Die Möglichkeiten überfordern uns und deshalb fangen wir an, uns wie Arschlöcher zu verhalten. Das Wort Zufriedenheit wird zu einem abstrakten Ziel, das doch eigentlich kaum noch erreicht werden kann.

Und auf meine Frage, was man tun kann, wenn man das selbst alles erkannt hat, und weiß, dass in einem selbst eigentlich ganz andere Werte und Vorstellungen stecken, habe ich bis jetzt noch keine Antwort gefunden. Das Spiel einfach mit zu spielen jedenfalls, ist keine Lösung. Sich dem allen aber zu entziehen, einfach nicht mehr mitzuspielen, das scheint mir auch zu einfach. Vielleicht beschäftigt sich Herr Nast oder ein anderer schlauer Mensch in seinem nächsten Buch damit. Oder mir selbst kommt irgendwann der Geistesblitz.
Wenn es soweit ist, werde ich es auf große Plakate schreiben und im ganzen Egoland aufhängen.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=4pTEEDC-VjU&w=560&h=315]

2 Kommentare

  • lostindating1

    Hauptsache, man weiß, wer man ist und man hat ein paar stabile und lange dauernde Beziehungen zu Familie und Freunden. Dann ist Egoland gar nicht so schlimm und es ist unterm Strich egal ob man seinen Avocadotoast auf Instagram postet oder nicht. Who cares? Man macht es ein bisschen mit, was soll man auch sonst tun? Ich sehe es meistens nicht so dramatisch.

    • Großstadtherz

      Natürlich ist es okay, den Avocado-Toast zu posten – Avocados sind der Hammer. Aber gefährlicher oder sagen wir aussagekräftiger ist die Motivation, warum man das postet. Was man unterbewusst vermitteln möchte, dem Egoland-Publikum. Ich nehm mich da selber nicht raus. Egoland wird scheisse, wenn man an Menschen gerät – oder scheinbar ausschließlich an solche gerät – die 100% mitspielen und dabei vor allem die geschilderte Sicht auf Gefühle haben – sie als Hindernis und Schwäche sehen.

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